08. 05. 2013   ...Wir gehen am letzten Trektag bei wolkenlosem Wetter auf der rechten Seite des Baches, der dem See entspringt, abwärts in einem dichten Wald voller hoher dick bemooster Baumriesen entlang, bis wir zu einem riesigen Seitental kommen. Es sind mit uns noch 3 besser betuchte stolze Inder unterwegs, Großvater, Vater und Enkel. Der schöne Panoramaweg ist breit und gut ausgebaut, man merkt, dass hier öfter Touristen und Pilger hochfinden. So wundert es uns nicht, unterwegs zwei weißen Touristinnen mit großen Rucksäcken und wenigen schwer schleppenden Trägern zu begegnen, die auf dem Weg nach Yamunotri sind und sogar über den Bali Pass nach Har ki Doon wollen. Shashank erzählt mir später, dass sie es nicht schafften.

Wir kommen an einigen Rastplätzen vorbei, aus Steinen errichtet. Dann durchqueren wir ein kleines Dorf aus Holzhäusern, Chattri. Weiter unten liegen die Dörfer Bhewra oder Bebra und Agoda. Itbir zeigt uns Abkürzungen, die den breiten Panoramaweg kreuzen und im Zickzack steil nach unten führen. Wieder auf dem Hauptweg gelangen wir zu einem markanten Felsvorsprung, dahinter geht es sehr steil hinunter zum Dorf Bebra (2220 m). Es gibt hier mehrere Lodges, Restaurants und einen schnuckligen Mini-Campingplatz. Wir leisten uns eine kalte Coca-Cola für 50 INR und ruhen uns vom Abstieg aus.

Nach 30 Minuten Pause überqueren wir den Fluss in der Talsohle, es geht leicht bergauf durch frischgrüne Wälder nach Agoda (2250 m). Auf unserem schönen Panoramaweg läuft man wie auf einem Aussichtsbalkon durch ein riesengroßes gewaltiges Bergtal mit vielen von Flüssen tief eingegrabenen Seitentälern. Am Grund schäumt weiß und wild der Bingsi Gad und später nach dem Zufluss mehrerer Flüsse bei Gajoli der Asi Ganga. Er hat im vorigen Jahr, wie schon erwähnt, ein ganzes Dorf zerstört und viele Menschen getötet.

Die Sonne brennt aus wolkenlosem azurblauen Himmel unbarmherzig auf uns herab. Je tiefer wir kommen, umso heißer wird es. Neben einzelnen schlanken hohen Tannen und kleinen ebenmäßig geformten hellgrünen “Weihnachtstannen“ wachsen hier wieder bis 30 m hohe moosbehangene Rhododendrenbäume mit teilweise über einem Meter Stammdurchmesser. An manchen Bäumen leuchten bereits die Blüten, während an anderen noch die Knospen zu sehen sind. Die Leittiere einer über hundertköpfigen Ziegenschar bleiben erst scheu stehen und äugen um die Ecke, als sie uns bemerken, dann drängen alle an uns vorbei.

Wir sehen schon in der Ferne unser Ziel im Tal vor uns liegen, den Straßenendpunkt, wo ein Jeep auf uns wartet. Das letzte Stück suchen wir uns den Weg nach unten im Alleingang, auch Itbir ist den anderen nachgeeilt. Aber der Weg ist gut zu finden, auch ein größerer Hangrutsch wird gemeistert. Die letzten Serpentinen gehen noch einmal in die Knochen, aber schließlich haben wir nach 24 km und ca. 1600 Höhenmetern Abstieg das Flusstal des mörderischen Asi Ganga erreicht. Der Ort heißt Sangam Chatti (1675 m) und besteht nach der Flut nur noch aus wenigen Hütten und einer Flussbrücke. Auf dem Platz erwarten uns unsere Jungs schon ungeduldig, das Gepäck ist bereits auf den bereitstehenden Jeep und unseren 12-Sitzer-Minibus, der aus Delhi herbeordert wurde, aufgeladen worden. Die 15 Träger steigen alle dichtgedrängt in ihren Jeep, der sie nun wieder zurück in ihre Heimat bringt. Ich muss ausdrücklich jedem von ihnen noch einmal zum Abschied herzlich die Hand drücken. Wobei mir wieder die Tränen in die Augen steigen.

Dann fahren sie uns auf einem notdürftig wieder hergestellten Schotterdamm voraus, rechtsseitig im steinigen Flusstal, das mit riesigen bis hausgroßen Felsbrocken völlig ausgefüllt ist.
Die meiste Erde und die Felder hat es hier im Oberlauf letztes Jahr in wenigen Stunden weggespült. Shashank ist vom Aussehen des Flusstales und der ebenfalls zerstörten Seitentäler schockiert, er sagt, es war früher ein malerisches Tal. Viele Arbeiter sind dabei, die Kraftwerke, Brücken und Straßen zu reparieren oder neu zu bauen, auch Bagger sind im Einsatz, es wird noch eine lange Zeit dauern. Nur die Häuser und später die Asphaltstraßenstücke, die höher liegen, sind unversehrt. Wir überqueren den Fluss zur linken Seite, auf der rechten reifen gelbe Weizen- und Gerstefelder.

Nach 12 km erreichen wir die T-Kreuzung, die rechts ins nahe Uttarkashi (1370 m) führt. Hier mündet unser Fluss, der uns seit dem Dodi Tal See begleitet hat, in den großen Bhagirathi River. Dieser ergießt sich dann in den Ganges (s. u.).
Uttarkashi ist Ausgangspunkt für Pilger-, Trekking- und Expeditionstouren nach Gangotri, nach Tapovan an den Fuß der Bergriesen Shivling (6543 m) und Meru (6660 m), nach Nanadanvan zum Fuß der Bhagirathi Parbat I-III (6856 m) sowie nach Gaumukh an den Gangotri Gletscher, also zum Ursprung des Bhagirathi und des Ganges.

Unser Jeep fährt geradeaus noch einige Kilometer Richtung Gangotri bis zu einem Gebiet mit Hotels und Geschäften in Naitala auf der Gangotri Road direkt an der Straße. Hier beziehen wir das Hotel Ganga Putra Mxc, bekommen im ersten Stock schöne und sehr saubere Zimmer mit Balkon, mit frisch bezogenen Betten und frischen Handtüchern, im Bad eine heiße (!) Dusche und WC. Daneben eine Aussichtsterrasse mit Bergblick, auf der wir auch speisen. Unsere beiden Köche kochen für uns gleich daneben in ihrem Hotelzimmer, der Kerosinkocher auf dem Fußboden neben dem Bett, die Küchenutensilien drumherum ausgebreitet. Das müsste man mal hier in Deutschland machen.

Meine Mitreisenden überrasche ich zum Dinner mit gekühltem indischen Godfather-Bier, dass Shashank mit mir in einem vergitterten Alkoholladen nebst Obst und Gemüse erworben hat. Das Bier hat 5 % Alkohol und die Flasche 640 ml, Preis 110 INR. Dafür sind wir mit unserem Kleinbus wieder ein Stück die Hauptstraße zurück und dann links über den Bhagirathi 2 km ins quirlige Uttarkashi gefahren. Die Brücke nach Uttarkashi wurde zerstört und ist jetzt durch eine stählerne Militärbrücke ersetzt worden. Die zweite Brücke steht noch zur Hälfte. Hier gibt es riesige blühende Bäume, die blaulilafarbenen sind Chakaranda und die gelben Silver Ferns, Silberfarn, wie unser Hotel in Delhi.

Zum Dinner gibt es Pilzsuppe, duftenden Basmati-Reis, dazu gut gewürzte Linsen, Hühnchencurry, mit Gemüse gefüllte Kartoffelbällchen (Potakari) in einer scharfen dicken Currysauce. Der Geschmack der Potakari haut mich fast um, so gut schmecken sie. Nachspeise ein gemischter Fruchtsalat mit Joghurtdressing.

Nach dem Essen machen wir noch einen Verdauungsspaziergang die Straße hoch und zurück. Sozusagen sehen und gesehen werden. Die Inder bekommen Stielaugen von Julias Hotpants. Stephan nutzt gleich die Gelegenheit, sich bei einem Barbier gründlich und professionell rasieren zu lassen. Es ist eine langwierige Zeremonie mit eincremen, einseifen, erste Rasur, erneut einseifen, zweite Rasur. Nach dem Abtrocknen werden verschiedene Cremes und Wässerchen in die kinderpopoglatte Gesichtshaut einmassiert und zuletzt Parfüm aufgesprüht. Zufrieden und hochglänzend verlässt Stephan das Geschäft. Vor unserem Hotel sitzen der gut betuchte Inder aus unserem Hotel inmitten seiner rotgewandeten moppligen Frauen und Töchter. Wir werden oft von den Einheimischen gefragt, aus welchem Land wir kommen, so auch hier. Deutschland ist immer für alle ein gesegnetes gutes Land, das sie loben. Eine seiner Töchter arbeitet in München.

+ 195 m / - 1555 m in 7:00 Std. (45 min. Pause)

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