06. 06. 2006   ...Die Aufgaben und das Hauptziel der Maoisten, den König zu stürzen, ist also erreicht. Es ist ein großer Einschnitt und eine Wende im Leben des nepalesesischen Volkes und der Weg zur langersehnten Demokratie steht ihnen endlich offen. Auch vom Kommunismus und seinem Scheitern in der DDR, der Sowjet-union und in den anderen osteuropäischen Staaten erzähle ich ihm. Udar Shan, so der ungefähre Name meines Gesprächspartners geht aber nicht darauf ein, weicht keinen Schritt von seinem Auftrag, jedem 100 Dollar abzuknöpfen ab. Wenn wir weniger geben, muss er die Differenz aus seiner eigenen Tasche ersetzen, sagt er. Gegen ihn und seine verbohrte kommunistische Überzeugung und seinen stets erhobenen Zeigefinger würde sogar ein langjährig in den hochkarätigen Partei-Eliteschulen der DDR erzogener SED-Parteigruppenorganisator steinalt und blass erscheinen. Für Udar zählt nur seine Autonome Republik, für die er halt Steuern einzutreiben hat. Auch meine Meinung, das dieses Geld nicht für die Ärmsten der Armen hier gedacht ist, sondern einigen Wenigen zugute kommt, sowie Waffenkäufe davon getätigt werden, nimmt er mir nicht ab und interessiert ihn nicht, er ist felsenfest davon überzeugt, das davon Schulen gebaut und die Armen unterstützt werden.

Ich merke enttäuscht, dass hier jeder Versuch zwecklos ist. Wir bezahlen letztendlich jeder 100 Dollar, bekommen eine Quittung dafür. Letztes Jahr betrug der Wegezoll 126 Dollar. Sanga wird blass, als er für sich, Phadindra und Dorje 11.000 Rupies (125 Euro, für Nepalesen eine horrend hohe Summe) bezahlen muss, wohlgemerkt an die eigenen Landsleute, eine Frechheit ohnegleichen. Wir dürfen von Udar Fotos aufnehmen, die er nach Hilsa geschickt haben möchte, ich verspreche es ihm, meine linke Hand hinterm Rücken mit Zeige- und Mittelfinger über Kreuz. Dann zieht er ab. Seine Helfershelfer haben uns die ganze Zeit von weitem beobachtet, sie demonstrieren uns noch einmal an der Brücke ihre Stärke, als sie ihre scharf geladenen Waffen in spielerischen Posen anschlagen. Witz Vorschlag, doch einfach nicht zu zahlen, hätte sich leicht zum Selbstschuss ausweiten können.

Wir sagen adieu Nepal, verabschieden uns mit kleinen Trinkgeldern von unseren nepalesischen Küchenhelfern (2x 1100 Rs., 1x 800 Rs.) und Pferdemännern (1x 900 Rs., 2x 800 Rs.). Von Sanga bekommen sie ihren Lohn - je 6000 Rupies (Pferdemänner) oder 1500 Rupies (Küchenjungs), diese laufen zurück in drei Tagen nach Simikot, die Pferdemänner und der Eselmann benötigen vier Tage dafür.

TIBET

Es ist inzwischen 10 Uhr vormittag, wir tragen jeder unsere kompletten Rucksäcke selbst über die Brücke und 200 m weiter am anderen Ufer über die tibetische Grenze, offiziell die Grenze zu China, einer der interessantesten Grenzübergänge der Welt. Der nagelneu gemauerte Grenzstein ist noch unter einer Plastplane abgedeckt. Hier treffen wir auf unseren tibetischen Führer, er stellt sich vor, Gyaltsen Gunsar, das bedeutet Banner der Freiheit und Neues Kloster. Er ist 31 Jahre alt. Laufen anschließend die 150 Höhenmeter hoch zur chinesischen Grenzstation Sera. Wir lassen sieben Gepäckstücke der Küche an der Grenze zurück, für das Hochtragen eines 15 kg-Sackes auf Pferden wird von der einheimischen chinesischen Mafia 500 Rupies verlangt, ein frecher Preis, auch nicht zu umgehen, indem wir zweimal hoch und runter laufen würden, um die Küchengepäckstücke selbst hochzuschleppen, sie verlangen den Preis trotzdem, die chinesischen Grenzposten unterstützen dies leider noch.

Wir erreichen die Mauern der Grenzstation, dürfen im kalten Wartesaal auf hellblauen Plastikstühlen sitzen, die Chinesen nehmen sich Zeit, Fotos sind verboten. Im Hof stehen schon unser silberner Jeep, ein ziemlich neuer Toyota Landcruiser 4500 und unser Truck, ein blauer chinesischer LKW mit neuer olivgrüner Plane. Die sympathischen tibetischen Fahrer sind Pasang und Dorje, zwei uns wohlbekannte Namen und leicht zu merken. Vor dem Gebäude albern zwei Soldaten auf einem Motorrad herum. Der unsympathische chine-sische Grenzbeamte, der uns bereits gestern in Zivil in Hilsa mit den Maoisten einen Besuch abstattete, dreht sich bei meinem lauten freundlichen tibetischen Gruß Tashi Delek sofort ärgerlich weg, das verkniffene Gesicht zur Faust geballt, die beiden leuchtenden Buddha-Augen auf meinem T-Shirt geben ihm den Rest. Er will das Tax-Permit für die Maoisten von mir sehen.

Die Uhrzeit müssen wir 2:15 Std. vorstellen, also 6 Std. plus von Deutschland aus gesehen, hier herrscht Peking-Zeit, das bedeutet, das es früh erst halb acht Uhr hell wird, dafür abends bis zehn schön helle ist. Endlich erscheint ein Offizier und die Zeremonie der Grenzüberquerung kann beginnen. Unsere Rucksäcke werden von einem jungen Soldaten oberflächlich durchsucht, die in Nepal gekauften Bilder des Dalai Lama finden sie nicht, wir können unser Gerödel wieder einpacken.                                  

 Aufstieg nach Sera + 155 / - 5 m in 0,5 Std. (o. Pause)

Die Fahrt von Sera nach Taklakot
Endlich dürfen wir aufsitzen, im Jeep vorn neben dem Fahrer und Witz noch ein chinesischer Offizier, den sie uns aufs Auge gedrückt haben, er wird uns bis ins Hotel nach Taklakot begleiten und uns an die örtliche Polizei übergeben. Mietzi, Iris und ich sitzen hinten, unser Gepäck liegt im hinteren Teil des Wagens. Im Truck fahren neben dem Fahrer Dorje - Sanga, Phadindra, Koch Dorje und Gyaltsen, dieser wird ab morgen vorn neben Witz seinen Platz einnehmen. Meist fährt Phadindra im LKW auf der Ladefläche mit, muss jede Menge Staub schlucken, später werden wir ihn zu uns in den hinteren Teil des Jeep holen, wo er wenigstens die Aussicht auf die tibetische Landschaft, die er erstmalig bereist, bewundern kann. Unser Jeep ist sehr leise und hat auch bis auf zwei fünfminütige Reifenwechsel keine Pannen, nicht wie vor 5 Jahren der Jeep, der alle paar Meter einen Stoßdämpfer oder eine Blattfeder verlor oder die ersten zwei Gänge nicht mehr zu schalten gingen. Unser Fahrer Pasang Chang Ling, 24 Jahre alt, ist gleichzeitig Besitzer des Jeep und hat eine sehr ruhige, ausgeglichene Fahrweise, heikle Stellen meistert er souverän, wir können uns auf ihn verlassen, auch trinkt er keinen Schluck Alkohol, ein immer gut aufgelegter freundlich lächelnder Tibeter.

Wir erreichen auf schmaler hoppeliger Sandpiste die ersten typisch tibetischen Häuser mit den bunten Holzdächern, auf denen das Holz ringsherum zum Trocknen hoch aufge-schichtet ist, es ist der alte tibetische Salzhandels-Platz Sera auf 3860 m. Eine rege Bautätigkeit zeugt von der Bedeutung des Grenzortes auch in der jetzigen Zeit, der Kleine Grenzverkehr ist für die Anwohner möglich. Während der Saison im Juli und August verkaufen hier Menschen aus Nepal Holz und Reis. Der illegale, verbotene Holz-verkauf dezimiert weiter die Holzressourcen von Nepal. Der Getreide- und Salzhandel wird mit Tausenden von Ziegen, die wir auf dem Weg gesehen haben, ausgeführt, sie können wie gesagt bis zu 10 kg tragen. Die Händler von Humla unternehmen 6 bis 7 Reisen im Jahr und die Händler vom ferneren Westnepal machen eine einmalige Tour jedes Jahr, um einen Teil Reis gegen zwei Teile Salz zu tauschen. Das sind für sie einträgliche Reisen, obwohl das schwer zu glauben ist. In Serpentinen fahren wir abwärts zu einem Fluss und folgen dann dem Humla Karnali-Tal nach Khojarnath in 3590 m Höhe, es ist das erste große Dorf in Tibet und rühmt sich seines bedeutenden Klosters der Sakya Sekte.

Diese Gompa entkam den meisten Übergriffen der „Kulturellen Revolution“. Die silbernen Statuen und die anderen wervollen Sachen, von frühen Reisenden beschrieben, sind allerdings „verschwunden“, die neuen Statuen sind von Chenresi (Avalokiteshvara), Jamb Yang (Manjushree) und Channadorje (Vajrapani). Die Mönche, die mit den indischen Pilgern verwandt sind, erklären diese Götter als die buddhistischen Manifestationen des Ram, Laxman und Sita. Interessant in der Gompa sind die ausgestopften Kadaver von einem Yak, einem indischen Tiger, dem seltenen Schneeleoparden (Chen in tibetisch) und dem Wolf (Changu), die Ausstellungsstücke sind von 1985. Leider bleibt uns das alles vorenthalten, da das Kloster zur Zeit umgebaut wird und der Zutritt verboten ist. Der chinesische Offizier im Jeep bewacht weiterhin unsere Fototätigkeit, es ist Grenzgebiet und Fotos tabu.

Die vegetationslose Berglandschaft, die wir durchfahren, erinnert an riesige Kiesgruben, überall sehen wir neugebaute Brücken, gelbe Verkehrsschilder weisen den ohnehin ersichtlichen Weg der staubigen Fahrstraße rechts des Karnali, tibetisch Map Chu in seinem steinigen Flussbett. Nach 40 km und einer Stunde Fahrt erreichen wir Taklakot (3900 m), das der Chinese und der Tibeter Purang nennt, es hat ein großes Ausbildungszentrum und besteht aus vielen unterschiedlichen Niederlassungen. Die Strecke von Sera führt von Süden entlang einer mit Weidenbäumen gesäumten, von Mauern umgebenen Straße. Dies ist der chinesische Abschnitt der Stadt, wo sich die Grenzpolizei einschließlich Einwanderungsbehörde und örtlicher Polizei, das Postamt und die Touristenhotels befinden, dort steigen wir im besten Hotel ab, dem Purang Country Hotel.

Wir fahren in den Hof ein, nehmen Platz im Foyer, uns gegenüber lümmeln drei Uniformierte, die später unsere Pässe und das Gruppenvisum prüfen. Sofort beim Betreten bekommen sie von der chinesischen Rezeptionsdame Mineralwasserflaschen serviert, wir als Gäste werden dagegen kaum beachtet. Der protzige Polizei-Jeep steht derweil mit laufendem Motor auf dem Hof und auf mein freundlich vorgebrachtes Ersuchen, doch den Motor abzustellen, ernte ich von ihnen nur erstauntes höhnisches Gelächter. Man sieht ihnen an, das sie als chinesische Herrenmenschen, als die sie sich auch aufführen, solche Einmischungen nicht gewohnt sind, man kanzelt mich ab wie einen dummen Jungen. Schließlich müssen wir einzeln vor ihnen Aufstellung nehmen und uns mit unseren Passbildern vergleichen lassen. Wie gesagt, eine Stunde vorher das Gleiche schon einmal an der Grenze.

Bei zwei Geldtauschern wechseln wir unsere Dollar 1:7 gegen Yuan ein, die chinesische Agricultur Bank im Ort ist für uns nicht zuständig und eine richtige Bank gibt es nicht. Wir bekommen im vierten Stock zwei Zimmer, ich teile mir eins mit Witz, Iris eins mit Mietzi, die Hocktoiletten aus Porzellan im zweiten Stock sind ganz in Ordnung, nur das Wasser läuft nicht, sodass schon einige Häufen drin liegen und entsprechend dampfen. Die Duschanlage ist komplett ohne Verkleidung und erinnert bischen an einen komplizierten elektrischen Stuhl, zumindest stelle ich mir das so beim geistigen Drunterstellen vor.Unsere nepalesischen Freunde schlagen im Hof des Hotels ihr Küchenzelt auf, wo sie für uns kochen werden, speisen tun wir im Hotelfoyer. Ich  bin ziemlich fertig und angeschlagen, betrachte mich im  Spiegel des Hotelzimmers, habe Ähnlichkeit mit einer zerrupften Matratze.

Am Nachmittag besuchen wir das Höhlenkloster und Wohnhöhlen Nine Storey Temple, in die Wand eines Berges gehauen. Wir sehen dort neben den üblichen heiligen Reliquien 1000 Jahre alte Wandmalereien. Wir geben dem Mönch ein Bild des 14. Dalai Lama, er stellt es vor den Altar. Dazu muss man sagen, dass die Bilder des jetzigen Dalai sowie die Staatsflagge Tibets in Tibet verboten sind und auf die Verbreitung sofortige Ausreise oder schlimmere Repressalien stehen. Danach muss ich mich erstmal hinlegen, mir ist schlecht, bin total geschafft. Nicht mal das leckere Yakfleisch am Abend, von Dorje zubereitet, schafft es, mich aus dem Bett zu holen. Aber bis zum nächsten Morgen bin ich wieder fit, habe mich wahrscheinlich an der Grenze etwas übernommen.

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