10. 06. 2006   ...Wir erreichen Darchen, haben eine Stunde Zeit uns umzusehen, der Ort eine einzige Baustelle, hier wird investiert, ich meine, dass dieser Wallfahrtsort bald groß rauskommt, man munkelt bereits von einer Autobahn, die um den Mount Kailash gebaut werden soll, ein Flugplatz würde sich doch auch noch in die schöne Ebene einschmiegen lassen, da sind die Chinesen doch fixe Kerlchen... Weiter oben dann doch fertige Bauten, eine kleine Kora führt um eine Mani-Mauer und eine große weiße Stupa. In einem ehemaligen Kloster ist jetzt die Tibetische Medizinische Schule untergebracht, 1999 gegründet und von Schweizern gesponsort. In den Höfen liegen viele Yaks, die in den nächsten Tagen für den Transport der Gepäckstücke bei der Kailash Kora gebraucht werden.

Der Eintritt an den Kailash kostet 80 Yuan. Schließlich fahren wir die restlichen 3 km ins Sagadawa-Camp nach Tarboche (4740 m) hinüber.Am Ufer des schmalen Gyengtak Chu Flusses gelegen auf einer riesigen Wiese tummeln sich 192 bunte Zelte von meist europäischen Touristengruppen, dazu ihre Ausrüstungszelte und Begleitfahrzeuge, auch große tibetische Nomadenzelte und runde mongolische Jurten sehen wir, es ist aber genug Platz für alle. Wir zelten direkt am Fluss, der abends schon mal Hochwasser führt, hängen unsere lange Gebetsfahnenkette an den Zelten auf.

Der Ausblick auf den Heiligen Berg ist atemberaubend. Wenige Berge in der Welt rivalisieren mit der Erhabenheit des Mount Kailash (6714 m), auf tibetisch heißt er Kang Rinpoche, nepalesisch  Gaurishankar, dem berühmtesten Heiligen Gipfel im westlichen Tibet. Der Kailash ist seit langem ein Objekt der Verehrung der vier großen Religionen. Für die Hindus ist es der Wohnsitz von Shiva. Es ist auch der Wohnsitz von Samvara – einer  mehrarmigen, zornigen Gottheit angebetet im Chakrasamvara Tantric Zyklus des tibetanischen Buddhismus. Die Jains von Indien verehren den Berg als den Standort, von welchem der erste von ihren Heiligen abstammte, und in der alten Bönreligion von Tibet ist der Kailash der heilige neun Stockwerke hohe Swastika- (= Hakenkreuz) berg, auf den der Bönpo-Gründer Shenrab vom Himmel herabstieg. Die 53 km lange Kailash Runde ist die heiligste von allen Tibets Wallfahrten und das Leuchtfeuer, das die meisten Reisenden ins westliche Tibet zieht. Es wird gesagt, dass ein einzelnes Parikrama (eine Runde um den Kailash) die aufgelaufenen Sünden eines Lebens löscht, während man mit 108 Umrundungen die ewige Erleuchtung oder das Nirwana erreicht. Wer die Kora 13 mal gelaufen ist, darf die innere Kora betreten und im Nordosten eine Abkürzung vornehmen. Im tibetischen Jahr des Pferdes allerdings zählt eine Kailashumrundung gleich 13fach, deshalb sind in so einem Jahr immer fünfmal so viele Pilger anwesend, zehntausend Besucher keine Seltenheit.

Es bläst heute ein straffer Wind, der Kailash prüft die anwesenden Pilger, mit einigen ist er wahrscheinlich nicht ganz einverstanden. Die starken Böen blasen unser Toilettenzelt und das Speisezelt fort, beim zweiten Aufbau beschweren große Steine den sicheren Stand. Der Festplatz für das morgige Saga Dawa Festival liegt oberhalb eines Hügels in einer Senke, dort steht auch bereits etwas aufgerichtet der große, bunt mit dicken Gebetsfahnengirlanden und weißen Gebetsschals geschmückte Tarbocher Fahnenmast mitten auf dem Platz. Er ist ca. 35 m lang, besteht aus einem mächtigen, durchgehend ca. 50 cm dicken Holzstamm, der mit Seilen und Yakfell umwickelt, am Fuß mit Eisen-blech beschlagen ist. An seinen Seiten sind zwei Stahlseile, ebenfalls mit vielen bunten Gebetsfahnen geschmückt, befestigt, die im Boden bereits verankert sind. Er ruht auf gekreuzten Holz- und langen Eisenstangen, die oben mit Seilen versehen sind.

Nach dem Nachmittagstee gehe ich mit Witz noch eine Runde hoch zum Himmelbestattungsplatz auf einem Bergplateau, von einem Eisenzaun weiträumig umgrenzten kahlen glänzenden Felsplatten, auf denen die Toten von Priestern zerhackt und den Geiern, Raben und Hunden zum Fraß vorgeworfen werden. Diese für uns grausam erscheinende Tradition der Bestattung hat sich für die sonst übliche zeremonielle Feuerbestattung der Buddhisten und Hinduisten etabliert, aus Mangel an Brennholz, das einfach in dieser Höhe nicht mehr wächst. Es liegen viele Kleider und Besitztümer verstorbener Seelen auf dem Felsenplatz zwischen den Steinmännchen, ein gruseliger Anblick, da auch noch die Hackmesser neben einigen menschlichen Schädel- und Knochenresten herumliegen, an denen schwarze Krähen knabbern.

Unterhalb des Berges auf einer Matratze machen wir ein Päuschen, betrachten den morgigen Festplatz: hinter der bunten zum Kailash ausgerichteten Fahnenstange liegt der große Weihrauchopferstein, aus dem ständig die weißen Rauchschwaden der brennenden Wacholderzweige aufsteigen, links stehen LKWs, dazwischen weiße Leinwandzelte, in denen man Speisen und Getränke kaufen kann. Rechts eine bunte Reihe Frauen, die Halsketten, Armbänder, Ringe, Gebetsmühlen, tibetischen Schmuck verkaufen, dahinter auf dem Hang noch ein Steinhaus und mehrere weiße Zelte. Ganz im Hintergrund die grünen tibetischen Berge. Ein fantastischer Anblick. Unsere italienischen Zeltnachbarn führen abends eine kleine Show auf, Tibeter stehen ihnen gegenüber. Alle Besucher sind in freudiger Erwartungsstimmung. Für morgen werden ca. 2500 Besucher erwartet.      

 Jeepfahrt: + 2965 / - 2070 m in 6 Std. (o. Pause)

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